Weihnachten, das Fest der Liebe?
Vor wenigen Wochen erst hatte ich ihn kennengelernt. Den erfolgreichen Unternehmer und Medienstar aus Deutschland. Anlässlich eines gediegenen Nachtessens erzählte mir der gut 60-jährige aus seinem Leben. Weniger von seinen beruflichen Erfolgen und seinen Geschäften. Viel mehr von seiner Kindheit und seinem privaten Erleben.
Als Waisenkind im Heim aufgewachsen. Und da Traumatisches erlebt. Keine Liebe aber viel Gewalt. Er zeigt mir die wüsten Narben an seinem Hinterkopf. Sie stammen von einer überforderten Ordensfrau. Immer wieder hatte diese ihm ihren Schlüsselbund mit den grossen eisernen Haustürschlüsseln über den Hinterkopf gezogen. Es war kein einmaliger Ausrutscher, sondern eine sich fast täglich wiederholende Tortur. Grausam für den kleinen Jungen. Keine Liebe. Keine Geborgenheit. Immer wieder Schläge.
Weihnachten wäre besonders hart gewesen. Da tickte er halt auch emotionaler. Wünschte sich einfach Liebe. Annahme. Auch Geschenke. Solche hätte er nie gekriegt. Von sowieso nötigen Socken oder ähnlichem mal abgesehen.
Ich bin erschüttert. Der Appetit ist mir etwas vergangen. Unglaublich, was mein Gegenüber da als Kind erleiden musste! Und dann berichtete er mir davon, wie er diese schwere Kindheit verarbeitet habe. Der Entschluss, sein Leben nicht von diesen negativen Ereignissen prägen zu lassen. Es besser zu machen als seine Peiniger. Dem Bodenpersonal Gottes zu vergeben ohne an Gott und seiner Liebe zu zweifeln. Seine Begabungen dankbar zu erkennen und sie zu nutzen, sein Leben zu gestalten. Ich bin überrascht. Das hätte ich nicht erwartet. Der Mann ging ohne Groll seinen Weg. Ein erfolgreicher Unternehmer. Ein Familienvater, der versuchte, seinen unterdessen erwachsenen Kindern das zu schenken, was er als Kind nie erlebt hatte: Liebe. Für mich ist die Geschichte ein mutmachendes Beispiel, dass es – mit Gottes Hilfe – möglich ist, das Leben trotz schwerster Voraussetzungen positiv zu gestalten.
Und dann erzählte mir der Mann noch von seinem Engagement für Waisenhäuser. Ausgerechnet für Institutionen, in denen er selber so viel Grauenhaftes erlebt hatte, setzt er sich ein. Für 15 solcher Einrichtungen tätigt er die Weihnachtsbescherung für die Kinder. Seine Augen leuchten auf, wenn er davon berichtet, wie er selber die Geschenke in den Spielwarengeschäften einkaufe.
Ich werde diese Begegnung nicht so schnell vergessen. Irgendwie ist sie für mich zu einer der schönsten Weihnachtsgeschichten geworden.
Christoph Gysel