Unberechenbare Natur: der Mattmarksee und das Saastal
Am 14. September findet der «Mattmark Memorial 1965 Halbmarathon» im Gedenken an den Gletschersturz vom 30. August 1965 statt. 88 Menschen starben an dem Tag. Aber die Geschichte ist viel länger.
Eis als unverlässliche Staumauer
Während der Kleinen Eiszeit vom 15. bis Anfang des 20. Jahrhunderts wächst der Allalingletscher, von Autor Otto Supersaxo auch «Drache im Talboden von Mattmark» genannt, wiederholt mächtig an. In dieser Zeit schiebt er sich immer wieder quer über die gesamte Talbreite der Saaser Vispa und staut den Mattmarksee auf. Beim Abschmelzen der Eisbarriere flutet der Gletscherstausee mehrfach das Saastal. 26 Überschwemmungen sind festgehalten. Zum Teil verwandeln sie das Ackerland und die Weiden für Jahre in Sand- und Geröllwüsten und zwingen Teile der Saaser Bevölkerung zum Auswandern.
Der Domherr Peter Joseph Ruppen berichtet in seinem 1851 veröffentlichten Werk «Die Chronik des Thales Saas» von Sturzfluten in den Jahren 1633, 1680 und 1772. Besonders schlimm waren sie 1633 und 1680.
Verheerende Zerstörungen im Tal
Immer wieder steckt die Saaser Bevölkerung Naturkatastrophen wie Lawinen-, Mur- und Geröllabgänge weg, bestreitet mit harter Arbeit ein bescheidenes Leben und arrangiert sich mit der Natur. Doch die Mattmarksee-Flutwelle vom 4. August 1633 trifft die Menschen bis ins Mark. Mit Schlamm, Geröll sowie Treibgut angereicherte Wassermassen des Mattmarksees ergiessen sich bis nach Visp und verwüsten auch dort Kulturland. Der Sandschutt begräbt Häuser, Weiden und Felder tief unter sich. Je nach Quelle verliert von den rund 750 Saaser Talbewohnern ein Drittel bis die Hälfte auf einen Schlag alles und wandert aus.
Traumatisiert von den Verwüstungen
schwören die Saaser, 40 Jahre lang nicht zu
tanzen, zu spielen oder zu feiern.
Wer bleibt, sieht sich jahrelang der Wiederurbarmachung des Geländes gegenüber. Ledige geloben, nicht zu heiraten, bis die Wiederaufbauarbeiten vollendet sind. In den nächsten 14 Jahren findet in der Kirchgemeinde Saas keine einzige Hochzeit statt. Ähnliches wiederholt sich beim schweren Seeausbruch von 1680, der sogar 18 Häuser in Visp zerstört. Traumatisiert von den Verwüstungen schwören die zurückgebliebenen Saaser, 40 Jahre lang nicht zu tanzen, zu spielen oder zu feiern. Dieses Gelöbnis wurde von Notar Peter Anthamatten am 14. Juli 1680 festgehalten.
Tatsächlich verhält sich der «Drache» danach fast ein ganzes Jahrhundert lang eher ruhig. Dann, am 17. September 1772, frisst sich das Wasser nach zweitägigen heftigen Regenfällen wieder durch den Gletscherwall und schiesst mit zerstörerischer Gewalt talabwärts.
Erste Baumassnahmen
1833 droht das Wasser im Mattmarksee erneut über die Ufer zu treten. Die Saaser erhalten von der Regierung 200 Franken (entspricht etwa CHF 4000), um einen «6 Schuh tiefen» Abflusskanal zu erstellen, 1 Schuh entspricht etwa 29 cm. Bereits ein Jahr später bricht der See erneut aus und schwemmt neun Brücken im Tal weg. 1834 wird eine Galerie durch den Allalingletscher gebohrt, und das angestaute Wasser fliesst geordnet ab. Aber nicht lange: 1837 reckt sich der «Drache» von Mattmark wieder, das Wasser staut sich auf und bricht durch.
Die starken Wasserpegelschwankungen in den 1840er-Jahren verstopfen schliesslich den Abfluss, und der Staat versucht 1846, durch Holzkanäle warmes Quellwasser in die Spalten des Gletschers zu leiten − ohne Erfolg. Als der Mattmarksee am 24. September 1920 erneut Saas-Almagell überschwemmt, werden wieder weite Kulturlandflächen und das Hotel Portjengrat verwüstet.
Bau der Mattmark-Staumauer
1960 begann die Kraftwerke Mattmark AG schliesslich mit dem Bau des Mattmark-Staudamms. Und dann, eines Tages, schlägt der «Drache» von oben zu: Am 30. August 1965 bricht um 17:20 Uhr ein Teil der Allalingletscherzunge ab und begräbt Wohn- und Arbeitsbaracken sowie die Baustellenkantine unter sich. 86 Männer und zwei Frauen werden unter rund zwei Millionen Kubikmetern Eis und Geröll verschüttet, elf Personen verletzt. Die meisten von ihnen waren Bauarbeiter aus Italien und der Schweiz. Die Bergung der 88 Todesopfer dauerte Monate.
Seit 1965 gab es keine historischen Zwischenfälle mehr, die Gewalt des Gletschers und des Sees ist seit Fertigstellung des Damms unter Kontrolle.
Mattmark Memorial 1965 Halbmarathon
Startpunkt des Gedenklaufes ist bei der Rundkirche in Saas-Balen. Der insgesamt 21,1 Kilometer lange Halbmarathon führt durch herrliche Lärchenwälder vorbei an Saas-Grund und durch Saas-Almagell bis zum Weiler Zer Meiggeru. Auf historischen Wegen geht es weiter hoch zur Staumauer. Der schönste Teil steht für die Läuferinnen und Läufer nämlich am Schluss an – die 8 Kilometer nahezu flache Runde um den malerischen Mattmarksee.
Wer es lieber etwas gemütlicher mag, kann sich auf die Strecke um den Staudamm konzentrieren oder sich für die Kategorie Nordic Walking/Fun anmelden. Entlang der Staumauer gibt es zudem ein Rennen für Kinder.
In der Flutwelle vom 4. August 1633
verlieren über 300 Talbewohner ihr
gesamtes Hab und Gut.