„Wir verstehen uns gut, der Gletscher und ich“
Hat Thomas Zurbriggen seinen Job erledigt, sieht die Gletscherpiste aus wie jede Skipiste. Unter den Skiern jedoch: feines Pulver. In Saas-Grund fahren Sie auf dem Gletscher Ski. Wie Thomas aus dem Gletscher eine Skipiste zaubert.
Es knackt unter den Raupen. Das Pistenfahrzeug stockt, ein Ruck geht durch die Kabine. Thomas drückt das Gaspedal durch, doch das Pistenfahrzeug kippt nur noch weiter, die Raupe frisst sich immer tiefer in den Abgrund. Er schaltet die schwere Maschine aus und springt aus der Führerkabine. Er funkt seinen Kollegen an: «Ich stecke hier in einer Gletscherspalte fest, du musst mich rausziehen! Antworten.» «Verstanden. Ich fahre los!» Der Kollege kommt mit einem anderen Fahrzeug, füllt die Spalte mit Schnee auf, bis Thomas’ Raupe frei ist.
«Thomas Zurbriggen kennt den Triftgletscher so
gut wie wohl kein anderer.»
Auf der präparierten Gletscherpiste fiel noch nie ein Skifahrer in eine Spalte. Neben der Piste ist das anders. Die Pistenrettung musste schon ausrücken, um einen Skifahrer mit heruntergelassener Hose aus einer Gletscherspalte zu retten. Er fuhr neben die Piste, um sich zu erleichtern – und brach ein. Thomas selber fährt nie neben der Piste. Zu gefährlich, winkt er ab. «Ich weiss ja, wie der Gletscher im Sommer aussieht, ein wahres Spaltenlabyrinth.» Darauf verzichtet er gerne.
Die Skisaison ist noch weit weg. Wanderer in kurzen Hosen schlürfen Hüttenkaffee auf der Terrasse im «Hohsaas» und blinzeln in die Spätsommersonne. Biker heizen die Trails vom Kreuzboden runter ins Tal. Murmeltiere pfeifen, wenn sie angebraust kommen. Auf dem Triftgletscher, unweit von der Bergstation Hohsaas, schüttet Thomas eine Ladung Eis in eine Gletscherspalte. Die Eisbrocken rumpeln von der Baggerschaufel. Thomas ist erst zufrieden, wenn er bequem über die Spalte spazieren kann. Dann füllt er die nächste. Er präpariert die Gletscherpiste für den Winter. Pisten zu präparieren, assoziiert man mit Pistenfahrzeugen und Schnee – doch so weit ist Thomas mit der Gletscherpiste noch lange nicht. Jetzt, im Herbst, sind es eher Tiefbauarbeiten. Schutt und Felsbrocken, die der Gletscher den Sommer über angeschleppt hat, müssen weg. Nach und nach wird die Piste plan und eben. Thomas’ Bagger klettert von einem Plateau aufs nächste. In den Raupen stecken Dornen. Diese beissen sich im Eis fest, wie die Steigeisen eines Bergsteigers.
Seit 1983 gleiten Skier über die Gletscherpiste im Hohsaas. Thoma’s Kollegen bearbeiteten Eis und Fels damals mit der Motorsäge und einem kleinen Bagger. Schwer vorstellbar für Thomas. Er hat schwere Baumaschinen: zwei Bagger und vier Pistenfahrzeuge, eines davon mit Seilwinde. Neun bis elf Tonnen wiegen diese Kolosse. Aus der Gletscherzunge eine Skipiste zu machen, wird jedes Jahr aufwendiger. Die Narben, die der Gletscherrückgang hinterlässt, bedeuten viel Arbeit. Der Klimawandel ist hier realer Alltag.
«Ich tausche mich regelmässig mit dem
Pistenchef von Saas-Fee aus.»
Thomas schaut wehmütig zum Gipfel des Weissmies, wo der Gletscher hoch oben an der steilen Felswand klebt. Er erzählt von den Sommern in der Weissmieshütte bei seinem Onkel. Der Gletscher war mächtig und lag fast direkt vor der Hütte. Um mehr als 800 Meter ist er seit damals zurückgegangen. «Es tut weh, wie rasch er wegschmilzt. Es geht jedes Jahr schneller!» Saas-Grund setzt alles daran, das Herzstück des Skigebietes südlich der Bahn zu erhalten. Durch die eisige Unterlage bleibt der Schnee bis in den Frühling pulvrig. «Es gibt Jahre, da kann man die Séracs (Türme aus Gletschereis) des Gletschers von der Piste aus regelrecht anfassen», erzählt Thomas. Viele Gäste reisen für dieses Erlebnis extra aus dem Ausland an. Saas-Fee sammelt Schnee für die Skipisten über den Sommer, geschützt durch eine spezielle Folie. Auch Saas-Grund prüft solche Alternativen.
Pistenfahrzeug fahren, ein Bubentraum? Thomas überlegt. Auch er kennt Routine. Wer das Panorama jeden Tag sieht, staunt nicht mehr so wie Gäste, die zum ersten Mal ins Saastal kommen. 18 Viertausender sieht man von der Bergstation. «Aber wenn ein Meter Neuschnee fällt, dann kommt der kleine Junge schon wieder hervor», erzählt er mit einem Augenzwinkern.
Für jeden ist dieser Job nicht gemacht. Die langen Nächte sind einsam und still. Pistenfahrer arbeiten, wenn sich die Gäste im Tal in ihre weichen Daunendecken kuscheln. Doch genau diese Stille in der Bergwelt schätzt Thomas. Die im Sonnenaufgang brennende Mischabelkette entschädigt ihn für vieles.
Ein Erlebnis ist Thomas besonders geblieben. Er trug im Herbst mit der Baggerschaufel Eis ab, als ihm plötzlich etwas Merkwürdiges ins Auge stach. War das etwa ein Hosenbein? Tatsächlich! Der Gletscher hatte zwei Berner Bergsteiger freigegeben, die seit über 35 Jahren vermisst wurden. So etwas erlebt man nicht alle Tage.
Im Winter kümmern sich sechs Pistenfahrzeugfahrer, fünf Pistenpatrouilleure, ein Mechaniker und ein Beschneier um die Skipisten in Saas-Grund. Jeder im Besitz eines Führerscheins der Kategorie F darf nach einem zweitägigen Führerkurs Pistenfahrzeuge fahren. Thomas hat zusätzlich eine Lastwagen- und Baumaschinen-Fahrbewilligung. Er ist ausgebildeter Pistenpatrouilleur und absolvierte einen Lawinensprengkurs und eine Minenwerfer-Ausbildung. Nur so kann er zusammen mit dem Rettungschef die Sicherheit auf der Gletscherpiste garantieren.
Sobald der erste Schnee fällt, steigen Thomas’ Männer in ihre Pistenfahrzeuge. Durch den Druck der Pistenfahrzeuge brechen die Schneekristalle, die Schneedecke verdichtet sich und enthält immer weniger Luft. Wieder und wieder fahren sie über den Schnee und präparieren so eine perfekte Unterlage für die Skipiste. Der feine, weisse Rillenteppich kommt ganz zuletzt dran. Die tonnenschwere Fräse gräbt sich mit 1000 Umdrehungen pro Minute fünf bis sechs Zentimeter tief in den Schnee und zerkleinert Klumpen und Kunstschnee. Die Heckfräse ist flexibel und passt sich dem Gelände an. So entsteht der herrlich feine Rillenteppich. Die Carver können kommen!
Bilder: Puzzle Media