Mit 140 km/h über Schnee und Eis

Am Glacier Bike Downhill stürzen sich mehr als 200 Menschen auf ihren Fahrrädern über eine Skipistenstrecke vom Mittelallalin nach Saas-Fee. Mountainbike-Guide Kyle Harris erzählt.

«Vor dem Pistolenschuss wurde es totenstill, keiner bewegte sich, niemand machte einen Laut. Ich hörte nur mein Herz pochen und der eisige Wind, der mir um die Ohren zog. Unsere kumulierte Spannung Sekunden vor dem Start umgab uns wie eine elektrische Wolke. Vor mir sah ich die Mischabelkette, die Piste, die vor ihr rechts abtaucht. In meiner Brust pulsierte eine Mischung aus Angst, Aufregung und Vorfreude. Dann fiel der Schuss, und alle traten in die Pedale, johlten und schrien wie Kämpfer, die sich in die Schlacht stürzen. Urplötzlich tobte alles um mich. Aber ich war im Race-Mode, nahm alles nur noch durch Watte wahr. Es gab nur noch mich, das Bike, das Rennen. Praktisch direkt nach dem Start hat es einen Fahrer vor mir über das Lenkrad katapultiert, Dutzende Biker stürzten. Ich dachte mir nur: Wenn es hier schon so viele hinhaut, wie wird das weiter unten? Wenn wir mit hundert und mehr Sachen mit dem Bike über die rote Piste jagen? Auf Eis und Schnee?»

Am Glacier Bike Downhill stehen sportliche Höchstleistungen und spektakuläre Szenen auf dem Programm.

Die erste Glacier-Bike-Downhill-Erfahrung
Kyle Harris (27) nahm vorletztes Jahr zum ersten Mal an dem Rennen teil. Seit er acht Jahre alt ist, fährt er Mountainbike – seit sechs Jahren nimmt er auch an Rennen teil. Aber ein Downhill-Rennen über Schnee und Eis war auch für ihn neu. Am Glacier Bike Downhill rasen die Teilnehmer vom 3500 Meter hohen Mittelallalin mit Geschwindigkeiten von bis zu 140 km/h über Gletscher und Schnee ins 1700 Meter tiefer gelegene Saas-Fee. Der bisher Schnellste bewältigte die rund 8,4 km lange Abfahrt in 7,1 Minuten.

Gestartet wird oben zwar zeitgleich, aber in drei Wellen mit einem Sicherheitsabstand dazwischen, um die Sturzgefahr zu minimieren. «Ich hatte Angst, klar. Ich liebe es, schnell zu fahren, und habe viel Erfahrung. Aber ich hatte keine Ahnung, wie ich ein Fahrrad mit bis zu 140 Kilometern pro Stunde auf Schnee kontrollieren kann», erzählt Kyle weiter. Die Downhill-Fahrer können zwar tags zuvor einen Probelauf absolvieren, einer richtigen Vorbereitung kommt das natürlich nicht gleich. «Ich war davor noch nie von einem Berg quasi senkrecht über eine Schneepiste gefahren – der Probelauf war mein erstes Mal. Es lief aber ganz gut. Ich bin ein ziemlich guter Mountainbiker, ich kann eigentlich alles fahren – auf ‹normalem› Boden zumindest. Ich dachte mir, dass ich das mit meiner Erfahrung sicher auch auf Schnee gut hinbekomme», erklärt er. Seit drei Jahren ist Kyle Mountainbike-Guide in Saas-Fee und somit zumindest in den Sommermonaten praktisch täglich auf dem Bike. «Ich habe während des Probelaufs tatsächlich schnell gelernt, wie es läuft. Du musst auf eine spezielle Art drehen und dein Körpergewicht richtig positionieren, damit es klappt. Nach ein paar Kurven im Probelauf hatte ich raus, wie ich das Bike auf dem Schnee zu handhaben habe. Du darfst zum Beispiel nicht zu stark die vordere Bremse nutzen, sonst verlierst du sofort die Kontrolle. Du musst dein Bike etwas kippen und deine Füsse brauchen, sodass du eher um die Ecke gleitest. Das ist nicht einfach – ich hatte es auch nicht perfekt raus nach dem Probelauf, mich hat es im Rennen zuletzt richtig böse hingehauen», lacht Kyle.

Mountainbike-Guide Kyle Harris (27) rät Neulingen, sich auf das Rennen gut vorzubereiten und das Tempo ihrem Können anzupassen.

«Das Glacier Bike Downhill ist ein
echter Adrenalinkick! Das Gefühl ist
unbeschreiblich.»

Über die rote Piste brettern
Trotzdem wollte er letztes Jahr wieder starten – leider musste das Rennen wegen starken Schneefalls im letzten Moment abgesagt werden. Gefährlich ist das Glacier Bike Downhill aber nicht per se, findet Kyle. «Wenn man schnell fährt wie ich, kann es zu üblen Stürzen kommen – das ist schon richtig. Mich hat es dreimal genommen, das letzte Mal hart. Ich bin in der Kurve gegen die Leitplanke geknallt – mit dem Kopf. Ich hatte zum Glück einen Helm an. Danach bin ich ziemlich langsam zum Ziel runter, es war mir zu krass», gesteht er. Aber auf das Rennen im März freut er sich trotz allem bereits gewaltig. «Es macht einfach unglaublichen Spass, selbst für erfahrene Biker wie mich ist es eine Herausforderung – das ist der Reiz. Wo können wir sonst über rote Pisten brettern auf Schnee und Eis? Das ist ein echter Adrenalinkick! Das Gefühl ist unbeschreiblich.»

Reifen und Reifendruck
Für alle, die am Rennen teilnehmen wollen, aber wenig Erfahrung haben oder noch nie auf Schnee unterwegs waren, rät Kyle auf einer Anfängerpiste oder einem Hügel zu üben, wie man auf Schnee ein Bike manövriert. Vor allem, wie man bremst und wie man Kurven fährt, gilt es zu üben. «Wichtig ist auch, dass die Biker recherchieren, welche Reifen sie brauchen und welchen Reifendruck sie haben sollen. Und natürlich an die Schutzkleidung und den Helm denken. Aber zentral ist: einfach nie die eigene Komfortzone verlassen und das Tempo dem eigenen Fahrvermögen anpassen. Dann kann eigentlich nichts schiefgehen», so Kyle.

Bilder: Puzzle Media