Nichts ist unmöglich!
Vom 24. bis 27. März finden in Saas-Grund zum zweiten Mal die Mentelity Games statt. Drei Para-Snowboarder über ihre Erfahrungen an diesem Wintersport-Event für Menschen mit Beeinträchtigung.
Teigwaren sind bei Sportlern beliebt. Die Kohlenhydrate steigern ihre Leistungsfähigkeit. So treffe ich die drei Schweizer Para-Athleten Luzia Joller, Gaël Suhner und Andreas Schroth mittags auf einen Teller Pasta in der «Arvu-Stuba» in Saas-Fee. Alle drei sind passionierte Snowboarder und gerade im Saastal, wo PluSport dreimal jährlich ein Para-Snowboard-Weekend durchführt. PluSport ist der Dachverband des schweizerischen Behindertensports mit rund 12’000 Mitgliedern. Begleitet wird das Trio von vier PluSport-Trainern
Luzia, Gaël und Andreas nutzen jede Gelegenheit, auf die Piste zu kommen. Sie nahmen bereits 2019 an den ersten Mentelity Games teil, die von Bibian Mentel initiiert wurden, der dreifachen Goldmedaillengewinnerin bei den Winter-Paralympics und fünfmaligen Weltmeisterin im Para-Snowboarden. An den zweiten Mentelity Games im März wollen sie wieder dabei sein. Denn der dreitägige Ski- und Snowboard-Event mit Workshops, an dem Menschen mit Handicap aus aller Welt zusammenkommen, hatte sie begeistert.
Die ersten Mentelity Games
Para-Snowboard ist in der Schweiz eine junge Disziplin, die Silvan Hofer, Projektleiter Para-Snowboard bei PluSport, Schneesportlehrer und Schneesportlehrerausbildner, seit rund drei Jahren aufbaut. Es war Silvan, der Luzia, Andreas und Gaël ermuntert hat, an den letztjährigen Mentelity Games teilzunehmen. Dort erwartete Ski- und Snowboardfans mit Beeinträchtigung ein umfassendes Unterrichts- und Kursangebot. An der «Wissensstrasse» wurde zunächst ermittelt, welche Sportart die Teilnehmer ausprobieren wollten und das auf die individuelle Behinderung zugeschnittene Material ausgewählt. Während der drei Veranstaltungstage erhielten die Teilnehmer individuellen Unterricht in stufengerechten Gruppen oder durch einen Privattrainer. Die Sportlerinnen und Sportler konnten sich ausserdem an Schnupperkursen von Skiund Snowboardprofis beraten lassen und mehr zu Themen wie Slalom, Freestyle oder Tourenski erfahren.
Andreas, der seit Jahren in Saas-Fee Snowboard fährt, empfiehlt die Teilnahme von Herzen. «Es war eine ziemliche Herausforderung, mit Guides zu fahren, die ich noch nicht kannte und die andere Snowboard-Techniken anwandten als ich. Aber ich profitierte und lernte viel.» Für Gaël lag die besondere Faszination an den Teilnehmenden selbst, und er freut sich auf die nächsten Mentelity Games: «Dann sehe ich alle wieder, es hat so viel Spass gemacht!» Auch Luzia empfand die Tage in Saas-Grund als sehr positiv. Alle drei waren bei den Workshops wegen ihres hohen Levels Spitzensportlern und Paralympics-Medaillengewinnern zugeteilt worden. Ohne Allüren sagt Luzia aber auch: «Das Zusammenkommen zählt, nicht das sportliche Niveau, sondern das Ausprobieren und sich gegenseitig Tipps zu geben. Man sieht die Dankbarkeit bei vielen Teilnehmern extrem, bei so etwas mitmachen zu können. Ich war erstaunt, was die Leute alles leisten, welch grosser Wille vorhanden ist. Ich fände es cool, wenn das nächste Mal noch mehr Teilnehmer kämen.»
Luzia: Schwerer Unfall ändert alles
Luzia Joller begann mit zwei Jahren, Ski zu fahren. Als ihre Brüder zum Snowboard wechselten, wollte die Sechsjährige mit ihnen gleichziehen. Mit zwölf fuhr sie erste Rennen. Snowboarden war ihr Leben, und sie begab sich mit 15 gar in ein Sportinternat im Engadin, wo man ihr grosses Talent bescheinigte.
Nach einem Unfall im Jahr 2010 musste die grazile Bündnerin mit den wilden dunklen Locken eine Zwangspause einlegen. Die einstige Studentin rutschte so unglücklich aus, dass letztlich das linke Schultergelenk entfernt werden musste und sie so zum IV-Fall wurde. Rücken- sowie Phantomschmerzen belasten seither ihren Alltag. Sie kann ein relativ eigenständiges Leben führen, benötigt aber Hilfe im Haushalt. Zusätzlich zu den Unfallfolgen macht ihr ADHS zu schaffen, eine Aufmerksamkeitsdefizitstörung. Dies macht sich bemerkbar, als der Salat gebracht wird. Die 34-Jährige gerät beim Erzählen ins Stocken, Einflüsse von aussen lenken sie ab.
2017 stellte sie sich wieder auf das Snowboard, lange Zeit nur im Garten. «Ich hatte Angst, umzufallen», erinnert sie sich. Noch im gleichen Jahr nahm Luzia Joller das Snowboard-Training mit ärztlicher Bewilligung wieder auf. Sie träumt davon, 2022 an den Paralympischen Winterspielen in Peking teilzunehmen.
Gaël: Fehlbildung von Geburt an
Gaël Suhner, mit zwölf das Nesthäkchen im Trio, wird von PluSport als Nachwuchs-Para-Snowboarder gefördert. Gaël kam in Bayern mit einer Fehlbildung an Hand und Arm auf die Welt. Sein Handicap merkt man ihm nicht an, als er die Penne rigate alla Bolognese auf die Gabel spiesst. Der pfiffige Schüler wirkt für sein Alter sehr erwachsen. Es gibt nur wenige Situationen, in denen er sich mit seinem Handicap benachteiligt fühlt. «Wenn ich zum Beispiel etwas mit meinem kleinen Bruder nicht mitmachen kann, kommt dies schon vor», erklärt er.
Seine Familie zog vor acht Jahren in die Schweiz. Mit sechs fing er zu snowboarden an – nicht sein einziges Hobby. Er singt auch bei den Zürcher Sängerknaben mit. Eine Bühnenkarriere stünde aber nur als Hobby auf seinem Plan, er will Mathematiklehrer werden. Um andere zu piesacken? «Genau», pariert Gaël schlagfertig, grinst und löst Gelächter aus. Dann erklärt er seine wahre Motivation: «Nein, weil ich anderen gerne Sachen erkläre und Mathematik am liebsten mag.» Immer wieder bringt er die Anwesenden zum Lachen, etwa bei der Frage, wie oft er was trainiere: «Wenn ich mich verletzt habe, dann singe ich, wenn nicht, gehe ich snowboarden – aber eigentlich bin ich gleich oft im Chor wie auf der Piste.»
Andreas: «Die grösste Hürde ist die Unwissenheit»
Andreas Schroth weist von Geburt an eine starke Sehschwäche auf. Der 30-jährige Marketing-Verantwortliche beim Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverband (SBV) kann nur von einem geschulten Guide an den Händen geführt aufs Snowboard. Fernab der Piste kommt der Hobbykoch aber im Grossen und Ganzen klar. «Ich kann zum Beispiel nicht einfach spontan entscheiden, Snowboard fahren zu gehen, weil ich auf einen Guide angewiesen bin. Es gibt gewisse Hürden, mit welchen ich besser umgehen kann als mit anderen. Wenn ich ein Tief habe, reagiere ich sicher empfindlicher auf Barrieren, gerade auf jene, welche ich selbst kaum beeinflussen kann. Eine der grösseren Hürden ist der Jobbereich. Wenn man sich mit einer Sehbehinderung bewirbt, kann sich der Arbeitgeber in der Regel nicht vorstellen, dass Büroarbeiten genauso gut verrichtet werden können wie von nicht Handicapierten. Sicher, es gibt Einschränkungen im grafischen Bereich», erklärt der Schaffhauser. Aber mit entsprechenden Programmen, etwa Screenreader, um sich den Bildschirminhalt vorlesen zu lassen oder Vergrösserungssoftware, liesse sich das gut handhaben.
Drei unterschiedliche Schicksale, ein Motto
So unterschiedlich die drei Para-Sportler auch sind, neben ihrer Leidenschaft für das Snowboarden teilen sie noch etwas: ihre Lebensfreude und ihre Überzeugung, dass nichts unmöglich ist. Die drei lassen sich nicht von körperlichen Einschränkungen behindern. Dies werden sie an den zweiten Mentelity Games im März wieder unter Beweis stellen – als Freunde, aber auch als sportliche Gegner auf der Piste.