„Jetzt sind wir die Gejagten“
Unter Cheftrainer Tom Stauffer haben die Swiss-Ski-Athleten Historisches geschafft: Erstmals seit 30 Jahren sind die Schweizer im Weltcup die Nummer eins.
Es ist ein Leben mit gepackten Koffern. Tom Stauffer, 51-jährig, ist nur selten zu Hause im bernischen Unterlangenegg. «Etwa 200 Tage im Jahr bin ich unterwegs», sagt der Mann mit dem markanten Schnauzer. Seit über 20 Jahren ist Stauffer im alpinen Skizirkus unterwegs. Erst arbeitete er vorwiegend mit Nachwuchsathleten der Regionalkader. Später feilte er mit Schützlingen in den USA und Schweden am perfekten Schwung. Auch die deutschen Ski-Frauen erlebten unter der Leitung von Stauffer zahlreiche Höhenflüge. Nach den Auslanderfahrungen erfolgte im Frühling 2014 der Wechsel zurück zu Swiss Ski. Dies zu einem Zeitpunkt, zu dem die Schweiz in der Nationenwertung gerade mal noch auf Platz sechs lag. Österreich, Erzfeind Nummer eins auf den vereisten Rennpisten rund um den Globus, holte sich damals zum 1. Mal in Folge den Nationentitel.
Der General Manager
Seither hat sich einiges getan. Aus vielversprechenden Nachwuchshoffnungen wie Daniel Yule oder Marco Odermatt sind Spitzenathleten geworden. Die konstanten Fortschritte und die, wie
Stauffer sagt, «hervorragende Arbeit bei der Talentsichtung» um Nachwuchschef Hans Flatscher gipfelten zum Ende der Weltcupsaison 2019/2020 im Gewinn der Nationenwertung. Die Schweiz ist wieder Skination Nummer eins. Auch Stauffer ist ein wichtiger Baustein des Erfolgs. Er sieht sich als «General Manager». Wie die Manager in den grossen US-Sportligen stellt auch der Swiss-Ski-Cheftrainer aus den aussichtsreichsten Athleten Teams zusammen. Auf der Rennpiste sind die Skirennfahrer allein unterwegs. Trotzdem hat das Team einen wichtigen Stellenwert. Wichtig seien dabei vor allem die Vergleiche in den Trainings, sagt Stauffer. Die Athleten fordern einander bei den internen Vergleichen. Dazu kommt ein weiterer wichtiger Faktor: Während des langen Wettkampfwinters sind die Athleten stets auf Achse, weg von Familie und Freunden. «Da ist es auch wichtig, dass man jemanden zum Reden hat», weiss der Swiss-Ski-Cheftrainer.
Flexibler zu Hause
Seit Jahren ist Saas-Fee ein wichtiger Fixpunkt im Trainingskalender von Swiss Ski. Hier, auf den Gletscherpisten auf rund 3500 Metern über Meer, finden die Athleten auch im Hochsommer beste Bedingungen vor. «Wir profitieren vor allem von der Flexibilität beim Training zu Hause», sagt Tom Stauffer. Zudem fallen die Kosten für Reisen in die Trainingslager im Südwinter von Neuseeland, Chile oder Argentinien weg. Ein nicht unwesentlicher Faktor, denn pro Trainingsgruppe fallen drei bis vier Tonnen an Material an, das um die halbe Welt transportiert werden muss. Slalom-Ass Ramon Zenhäusern verzichtet etwa bereits seit einigen Jahren auf die Reise in den Süden. Seine Saisonvorbereitung bestreitet er gänzlich in Saas-Fee. Das hat nicht nur damit zu tun, dass für den Zweimetermann die Beinfreiheit im Flugzeug ziemlich knapp ist: «Ich kenne weltweit kein vergleichbares Sommerskigebiet», sagt Ramon Zenhäusern, der seit 2018 offizieller Botschafter der Gletscherpisten ist. Das Training auf der steilen Weltcup-Piste auf dem Feegletscher ist auch ein Grund dafür, dass die Schweizer in den technischen Disziplinen Slalom und Riesenslalom wieder zur absoluten Weltspitze gehören.
Seit Jahren ist Saas-Fee ein wichtiger Fixpunkt im Trainingskalender von Swiss-Ski. Hier, auf den Gletscherpisten auf rund 3500 Metern über Meer, finden die Athleten auch im Hochsommer beste Bedingungen vor. «Wir profitieren vor allem von der Flexibilität beim Training zu Hause»
Tom Stauffer
Lange Tage
Auf den Lorbeeren ausruhen kann sich Swiss-Ski freilich nicht. Für die Österreicher waren die dürftigen Resultate im ersten Jahr nach dem Rücktritt von Ausnahmeathlet Marcel Hirscher mehr als nur ein Weckruf: «Jetzt sind wir die Gejagten», ist sich Tom Stauffer bewusst. Deshalb gilt es, aus den Trainingseinheiten auf den Gletscherpisten von Saas-Fee das Maximum herauszuholen. Für den Cheftrainer und seinen Equipe bedeuten das lange Tage: Um halb fünf klingelt der Wecker. Mit dem Sonnenaufgang stecken die Trainer auf dem Feegletscher die Torstangen für das Training. Sie filmen jede Fahrt ihrer Athleten, um sie später im Hotel genauestens zu analysieren. Während die Skicracks dann Konditions- und Ausdauereinheiten absolvieren, bereiten sich die Trainer bereits auf den nächsten Trainingstag vor. Um 19:00 Uhr ist für Stauffer in der Regel Feierabend.