Kritikfähig?
Mitmenschen zu kritisieren fällt leicht. Selber Kritik anzunehmen erscheint schwieriger. Warum nur? Wir wissen schliesslich, dass uns Kritik weiter bringt.
Der Begriff „nicht kritikfähig“ ist mir in den vergangenen Wochen sogar in der Freien Ferienrepublik Saas-Fee begegnet. Unverständlich. Bei so paradiesischen Zuständen wie sie im Saastal herrschen: Schneesichere, top präparierte Pisten; feinstaubfreie, gesunde Luft; mediterranes Klima mit viel Sonne; grossartige Events und Freizeitmöglichkeiten und eine einzigartige Berg- und Gletscherwelt. Das Paradies sollte doch auch auf das Verhalten der Menschen abfärben. Meinte ich.
Aber da sind mir in den vergangenen Tagen ein paar ganz schräge Geschichten zu Ohren gekommen. Mitarbeiter, die mit berechtigter Kritik von Gästen/Kunden nicht zurecht gekommen sind. Laut geworden sind. Sich rechtfertigen mussten. Die Schuld auf die Kollegen oder gar den Chef abwälzten. Billige Ausreden vorschoben. Oder zumindest sehr beleidigt reagierten. Bloss, damit sind unzufriedene Kunden nicht zu beruhigen.
Die Chance hilfreicher Kritik wird oft verkannt. Denn durch Kritik lernen wir mehr als durch Lob. So hat der französische Adlige, Francois de La Rochefoucauld, vor über 300 Jahren schon festgestellt: „Nur wenige Leute sind klug genug, hilfreichen Tadel nichtssagendem Lob vorzuziehen.“ Noch krasser lautet ein amerikanisches Sprichwort: „Die meisten Menschen wollen lieber durch Lob ruiniert als durch Kritik gerettet werden.“
Natürlich erwarte ich, dass Kritik fundiert ist und mit Respekt angebracht wird. Unqualifiziertes Schimpfen von destruktiven Besserwissern würde ich nicht als Kritik bezeichnen. Kritik ist nämlich ganz einfach eine „sachliche Beurteilung“. Und die können wir uns doch ruhig gefallen lassen. Denn sie bringt uns weiter.
Klar, hilfreiche Kritik wendet sich nicht gegen Personen sondern an Dinge, die besser gemacht werden können. Da wird sachlich und emotionslos auf ein Problem hingewiesen. Am besten wird auch noch ein Vorschlag zur Verbesserung der Sachlage gemacht. Versuchen wir doch in dem Sinne das Paradies Saastal noch besser werden zu lassen.
Christoph Gysel