Grenzen akzeptieren?
„Glücklich ist, wer seine Grenzen nicht nur kennt, sondern auch anerkennt.“ Der französische Schriftsteller und Pazifist Romain Rolland fordert mich mit diesem weisen Wort immer wieder heraus.
In jungen Jahren war ich der Überzeugung: „Grenzen sind da, um sie zu weiten.“ Grenzerfahrungen waren wichtig. Ich wollte ausloten, wie weit man gehen kann. Nicht bloss körperlich, auch intellektuell. Allerdings lernt man schon als Jugendlicher, dass dem Menschen Grenzen gesetzt sind. So hat ein Wochenende ohne Schlaf einen schwierigen Wochenbeginn zur Folge. Mit fortschreitendem Alter werden uns unsere Grenzen noch deutlicher aufgezeigt. Gerade auch, wenn unsere physischen Kräfte nachlassen. Die eigenen Grenzen zu akzeptieren, fällt uns Menschen generell schwer. Ich weiss, wovon ich schreibe. Als Behinderter, der sich nur schwerlich selber anziehen kann und der jedes „länger auf den Beinen sein“ fast unerträglich schmerzhaft zu spüren bekommt, sollte ich kürzer treten. Meine Grenzen akzeptieren. Aber es fällt mir schwer. Gerade auch jetzt, wo wir das grossartige Freilichttheater „Im Tal der Hoffnung“ erfolgreich aufführen können. Ich sollte meine Grenzen nicht bloss kennen, sondern sie anerkennen.
Da ist mir jener 80-jährige Stammgast, der früher auf sämtlichen Viertausendern des Saastales stand, ein Vorbild. Er, der ehemalige Bergsteiger freut sich auf den kurzen Spaziergängen, die er noch machen kann, an der Natur, den Bergen und der frischen Luft. Man kann die Schönheiten der Freien Ferienrepublik Saas-Fee also auch mit seinen Grenzen geniessen.
Beim deutschen Schriftsteller Alfred Hellmuth Andersch habe ich dazu treffend gelesen: „Freiheit wäre da, wo wir an einer Grenze sagen: Es ist genug.“
Christoph Gysel