Die Chance der Selbstreflexion
Die Bösartigkeit von Menschen kann erschrecken. Verletzende Worte. Diffuse Anschuldigungen. Respektloses Anschreien. Angst verbreitendes Benehmen. Handgreiflichkeiten. Man wünschte solchen Zeitgenossen etwas mehr Selbsterkenntnis. Ehrliche Selbstreflexion, damit sie zur Vernunft kommen.
In diesen Tagen wurde ich Zeuge einiger sehr unangenehmer Auseinandersetzungen. Und dies in der Freien Ferienrepublik Saas-Fee. Wüste Drohungen. Wirre Behauptungen. Laut und respektlos. Ich habe gedacht: „Die sollten sich einmal zuhören oder zuschauen müssen. Die würden erschrecken.“ Vielleicht würden sie aber auch behaupten, dass das nicht sie gewesen seien. Und wahrscheinlich wären sie kaum bereit zu dieser Selbstreflexion. Willy Pasini, Professor der Psychiatrie, meinte nämlich: „Bösartigkeit wird bewusst, aus Eigennutz und mit Freude ausgeführt.“
Die Ursachen menschlicher Bösartigkeit sind Vielfältig. Agression als Antwort auf den Frust des eigenen Lebens. Frühkindliche Negativerfahrungen wie Gewalt. Minderwertigkeitsgefühle, die kompensiert werden. Fakt ist, dass so bösartige Aktionen nicht bloss Mitmenschen verletzen, sondern auch die Täter einsam werden lassen. Denn wer will schon solche Leute um sich haben?
Selbstreflexion könnte da helfen. Selbstkritisch das eigene Denken und Handeln hinterfragen. Sich selber zuhören. Böse Mails nicht direkt losschicken, sondern am andern Tag erst nochmals durchlesen. Sich an Fakten und nicht an der Wut orientieren. Es gibt übrigens gute Bücher zum Thema Selbstreflexion. Und grossartige Kurse. Natürlich ist es heute wichtig, Sprachen zu lernen. Noch wichtiger scheint mir aber, sich charakterlich weiter zu bilden.
Von Laotse stammt die Weisheit: „Ich beobachte mich und verstehe dadurch die andern.“ Ich bin überzeugt, wenn wir dem nachkämen, würde sich der Umgang untereinander schnell zum Guten verändern. Fast alle Leute wünschen sich eine Welt ohne Gewalt, Drohungen, Beleidigungen, Übergriffen jeder Art, Einschüchterungen, Verleumdungen, Mobbing etc. Wenigstens im paradiesischen Saastal. Vielleicht können wir nicht die Welt ändern. Aber – mit Gottes Hilfe – mich kann ich ändern. Und damit mein Umfeld. Der grossartige Schriftsteller Lew Tolstoi hat diesbezüglich den bemerkenswerten Satz geprägt: „Alle denken nur darüber nach, wie man die Menschheit ändern könnte, doch niemand denkt daran, sich selbst zu ändern.“
Christoph Gysel