Schwarz, weiss oder bunt?
Differenziertes Denken scheint mir ein Auslaufmodell. Pauschale Polemik ist einfacher. Dafür oder dagegen. Daumen rauf oder vor allem runter.
Diese Feststellung gehört zu meinen schmerzhaftesten Erfahrungen: Differenziertes Denken ist in der Gesellschaft kaum noch gefragt. Da wird über Menschen und Ideen hergezogen als ob es nur schwarz und weiss gäbe. Jugendlichen Klimaprotestlern wird die Konsequenz abgesprochen. Alten ihre Ignoranz gegenüber der Umwelt vorgeworfen. Politiker seien machtbesessen und verlogen. Wirtschaftsbosse korrupt und geldgesteuert. Banker sowieso suspekt. Fremde nützten unser Sozialsystem aus. Die Tourismusverantwortlichen verstünden erst recht nichts. Zerstörende Pauschalurteile.
Differenzierter Denken. Vielleicht zugestehen, dass die Leute vom Tourismus gewisse Abklärungen getroffen haben könnten, kantonale Gesetze und Vorschriften beachtet haben, Fakten kennen, die der schreierischen Polemik durchaus widersprechen könnten. Aber das ist nicht gefragt. „Ich will die Fakten nicht wissen, dann kann ich weiter schimpfen.“ Diese Aussage eines Dauerkritikers des Tourismus im Saas verfolgt mich.
Wenn, wie ich es heute erlebt habe, drei Männer ihre Überzeugungen zeitgleich in eine Sitzung hineinschreien, schockiert mich das. Zu einer echten Kommunikation gehört schliesslich nicht bloss das (laut) Reden. Nein, hören und denken sind genauso wichtig. Doch will ich andere nun nicht verurteilen. Ihnen nicht vorhalten: Die haben keine Erziehung genossen. Haben ein Problem mit ihrem Selbstwert. Oder gar narzisstische Züge. Auch wenn dies alles zutreffen könnte. Ich will ihre Argumente ernst nehmen. Und auch Selbstdarsteller lieben. Sie sind ebenfalls Geschöpfe Gottes. Und gewisse Argumente – nicht die Art – sind absolut richtig und wichtig in der Diskussion.
Trotzdem, mit differenzierterem Denken kämen wir weiter. Klar, das ist anstrengend. Aber es lohnt sich.
„Denken ist die schwerste Arbeit, die es gibt. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum sich so wenige Leute damit beschäftigen.“
Henry Ford
Bild: Alessandro Boyens