Wildtiere im Saas

Jäger und Wildhüter – klingt eigentlich nach Gegenpolen. Nach sich in Sinn und Zweck bekämpfenden Aufgaben. Auf der Spurensuche zum Wildtierleben zeigt sich, wie eng die beiden miteinander verknüpft sind.

Saaser Gämsen, Murmeltiere, Adler, Rehböcke, Rotwild, Feld- und Schneehasen, Bartgeier, Dachse, Füchse, Schneehühner und Marder haben alle eines gemeinsam: Helmut Anthamatten. Seit 33 Jahren ist er der Wildhüter des Saastals. Seine Aufgabe ist prinzipiell, in der Wildnis lebende Tiere zu schützen. Helmut ist also für ihr Wohlergehen verantwortlich. Auf täglichen Kontrollgängen erfasst er die Bestände zahlenmässig und überprüft, ob Krankheiten grassieren, ob und wie viel Nachwuchs es gegeben hat, wie gut die Tiere ernährt sind. Zum Schutz gehört neben dem Überwachen des leiblichen Zustands der Tiere auch die Sicherstellung und Pflege ihres Lebensraumes.

In der Schweiz ist gesetzlich geregelt, welche Gebiete für Wildtiere geschützt sind, und diese werden mittels einer scharfen Baugenehmigungspraxis erhalten. Ein Problem in Feriendestinationen stellen aber die sogenannten touristischen Anlagen dar. Damit sind Bahnen oder Skilifte, auch Wanderwege oder Ähnliches gemeint. Durch sie stossen Menschen tiefer in die Natur vor und können zum Störfaktor für Tiere werden. Durch die topografischen Bedingungen im Saastal wird dieses Problem hier allerdings abgeschwächt, wie Wildhüter Helmut erklärt. Weite Flächen sind steil und felsig – ideale Rückzugsgebiete für die Tiere, ein gewichtiger Faktor für ihr Überleben.

Regulation gehört zum Schutz
Zentral ist aber nicht nur, die Grenzen ihres Lebensraumes zu respektieren, auch dessen Beschaffenheit ist essentiell. Ein wichtiger Aspekt seiner Aufgaben ist laut Helmut, dass der Lebensraum und die Grösse des Bestandes, sprich die Anzahl der Tiere, aufeinander abgestimmt sind. Denn: Gibt es zu viele Tiere, entstehen einerseits Schäden im Wald. Das grössere Problem ist aber, wie der Wildhüter betont, dass die Tiere den eigenen Lebensraum übernutzen. Konkret heisst das: Die Nahrung wird nicht für alle reichen. Daher ist in der Schweiz die Jagd ein Bestandteil des Wildschutzes im Sinne einer gesunden Regulation. So erfolgt nämlich aus den vom Wildhüter erfassten Informationen die Jagdplanung. Helmut meldet der kantonalen Dienststelle für Jagd, Fischerei und Wildtiere Bestand und Zustand der Tiere – daraus ergibt sich, was erlegt werden darf oder gar muss. Das eidgenössische Jagdgesetz bezweckt nämlich laut eidgenössischer Jagd- und Fischereiverwalterkonferenz den Erhalt der Artenvielfalt. Es soll ein Ausgleich zwischen den Ansprüchen der Wildtiere, des Naturschutzes, der Jäger, der Forstwirtschaft, der Landwirtschaft sowie des Tierschutzes geschaffen werden. Eine funktionierende Zusammenarbeit zwischen Wildhüter und Jäger ist daher unerlässlich. Verzeichnet Helmut einen Überbestand, gibt er die Weisung, dass jagdlich eingegriffen werden muss.

Der spanische Fotograf Marcos González Anglès (Instagram: @foto_mga) ist diesem Steinbock zufällig auf dem Weg zum Spielboden oberhalb des Gletschersees begegnet.

«Im Saastal haben die Tiere
ideale Rückzugsgebiete.»

Man könnte versucht sein, zu argumentieren, dass die Natur sich von selbst regulieren würde. Aber dann sei es meist zu spät, weiss der Wildhüter. Beim Steinwild auf der linken Talseite sei im Saas über Jahre zu wenig gejagt worden – mit schlimmen Folgen für die Tiere. Durch die vehemente Übernutzung der Lebensräume sei nämlich Nahrungsmangel entstanden, der das Wild massiv geschwächt hat. Die Tiere seien krankheitsanfälliger geworden und hätten Mühe, den harten Winter zu überleben. Daraus hat man gelernt – gute Jagdplanung soll solche Notstände verhindern. Löst ein Jäger ein Jagdpatent im Wallis, weiss er genau, was und wie viel er in der jeweiligen Saison jagen darf. Gerade beim geschützten Steinwild werden den Jägern konkrete Zahlen zugewiesen.

 

«Der Lebensraum und die Anzahl der Tiere
müssen aufeinander abgestimmt sein.»

Saaser Wildjagd-Tradition
Einer dieser Jäger ist Peter Welti aus Saas-Fee. Seit seiner Jugend geht er auf die Jagd. Damals hat er seinen Grossvater begleitet, heute jagt er selbst. Dass er während der Jagdzeit Leben nimmt, ist Peter bewusst. Aber in diesem Bewusstsein ist auch eine tiefe Achtung für Natur und Tier verankert. Drei- bis viermal pro Woche geht er in den Wald und beobachtet die Tiere, schaut, wie es ihnen geht, fotografiert sie. Alle Jäger sehen das gesamte Jahr über im Wald nach dem Rechten, wie Peter erzählt. Denn Jagen sei hier nicht nur ein altes Kulturgut. Gerade im Saastal geniesse die Jagd eine lange Tradition. Praktisch in jeder Saaser Familie gebe es Jäger, früher sei die Jagd ja auch ein zentraler Bestandteil der Eigenversorgung gewesen.

Im Saas wird nach dem Patentjagdsystem gejagt, was für die Jäger zeitlich eng begrenzte Jagdzeiten bedeutet. Die sogenannte Hochjagd findet in den letzten beiden Septemberwochen statt, die anschliessende Niederjagd dauert drei Wochen. Gejagt werden darf aber nur während zweier Tage der Woche. Das von Peter während dieser Zeit erlegte Wild wird in seinem Restaurant «Zur Mühle» in Saas-Fee direkt verarbeitet. Für drei bis vier Wochen reiche dies meistens, danach ist die Wildzeit in «Zur Mühle» vorbei. Viele der lokalen Restaurants bieten heimisches Wild an und kennzeichnen dies entsprechend auf der Karte. Da setzt sich übrigens auch Helmut gern an den Tisch. Vegetarier ist der Wildhüter nämlich nicht. Gerade Wild isst er am liebsten, wie er zugibt. Dort wisse er mit Sicherheit: Das Fleisch ist substanzfrei, und die Tiere hatten im Saas ein gutes Leben.

Sie sehen im linken Bild den Wildhüter Helmut Anthamatten, und rechts Peter Welti, Restaurant «Zur Mühle»-Besitzer und Jäger. Bilder: Puzzle Media