Talis klingt noch nach …
Das Talis Festival vom Juli 2015 liegt bereits einige Monate zurück, doch die Klänge der Kammermusik hallen auch heute noch nach. Man hat das Gefühl, sie auch heute noch zu hören, wenn man durch die Straßen des Städtchens geht, am Dom-Hotel vorbei, wo die öffentlichen Proben stattfanden. Oder wenn man die klassizistische evangelische Kirche betritt, deren stiller Innenraum an die lebendigen Klänge von Fagott, Violinen und anderen Instrumenten zu erinnern scheint.
Die zweite Ausgabe des Talis Festivals beeindruckte ebenso wie die erste mit gemeinsamen Auftritten von etablierten Musikern und Teilnehmern der Talis Academy. Die meisten dieser Nachwuchskünstler aus aller Welt hatten sich ihren Platz über ein innovatives Online-Probespiel-Verfahren gesichert. Jedes Jahr stellt das Talis Festival neue Nachwuchstalente vor; in diesem Jahr waren junge Künstler aus Japan, Australien, Europa und den USA dabei. Scott Pool, Leiter der Talis Academy, erklärte, dass bei der Auswahl auf eine gute Mischung unterschiedlicher Kulturen und Persönlichkeiten Wert gelegt wird. Das wichtigste Kriterium ist natürlich das Talent der Bewerber. Eine ebenso große Rolle spielen jedoch auch der Charakter und das Verhalten des Einzelnen in der Gruppe. Erst wenn diese Faktoren passen, so Scott, „kann echte Musik entstehen!“
Das abwechslungsreiche Musikprogramm in diesem Jahr bot für jeden Geschmack etwas: von zeitgenössischen Kompositionen über traditionelle Klassik bis hin zu lateinamerikanischen Klängen und Nachmittagsveranstaltungen speziell für Kinder.
Unvergesslich waren auch die Harfenkonzerte: Die Harfenistinnen Carina Walter aus Basel und Heather Woitena aus den USA spielten Bernard Andres‘ Parvis für zwei Harfen, Carlos Salzedos Tango aus der Suite of Eight Dances für zwei Harfen sowie Manuel de Fallas Spanischen Tanz No.1 für zwei Harfen aus La Vida Breve. Dabei begeisterten sie mit technischer Perfektion, vor allem aber mit ihrer offensichtlichen Spielfreude und der Liebe zum Instrument.
Musikliebhabern bot das Festival die Gelegenheit, einzigartige und neue Kompositionen zu hören. Der diesjährige Gastkomponist war Marcus Maroney, Professor für Komposition an der Universität Texas und Komponist zahlreicher Opern und weiterer Stücke für Orchester und Kammerorcherster. Bethany Brown, Komponistin der Talis Academy, schrieb die Live-Begleitmusik zur Aufführung von „Das Kabinett des Dr. Caligari“, die in Zusammenarbeit mit dem Saas-Fee Film Festival gezeigt wurde. Ebenfalls unvergesslich war Dmitri Ashkenazys Soloklarinetten-Darbietung von Kovàcs Homenaje de Falla.
Die Musiker beschrieben Saas-Fee als eine ebenso offene wie heimelige Stadt: gastfreundlich, inspirierend und entspannt. Der 22-jährige Master-Student Peter Delgrosso von der New Yorker Aaron Copland School of Music war begeistert, schon zum zweiten Mal in Talis dabei zu sein. Er bezeichnete es als „Riesenglück“, mit Top-Musikern gemeinsam auftreten und von ihnen lernen zu können. Die besondere Atmosphäre in Saas-Fee, so Delgrosso, „prägt die Musik und schafft Beziehungen“. Und die Komponistin Bethany Brown erklärte bei der Vorstellung ihres Stücks: „Ich habe mich nie stärker inspiriert gefühlt!“
Auch Maria Wildhaber, Gründerin und künstlerische Leiterin des Festivals, lobte die einzigartige Stimmung und atemberaubende Naturkulisse von Saas-Fee. Doch es ist wohl vor allem ihrer Vision zu verdanken, dass Talis ein solcher Erfolg ist. Mit großem Engagement für Musik und Musiker, mit Teamgeist und einem gemeinschaftlichen Ansatz an Entscheidungen – und nicht zu vergessen: mit der Energie, Begeisterung und Wärme einer zweifachen Mutter – macht sie das Festival zu dem, was es ist. Das Talis Festival wird auch in Zukunft weiter wachsen – wir hoffen, dass es sich dabei seine individuelle Note, Kreativität und vertraute Atmosphäre bewahrt.
Im kommenden Jahr (2016) findet das Talis Festival vom 24. Juli bis zum 1. August in der evangelischen Kirche Saas-Fee statt.
Renu Chahil-Graf
Saas-Fee, September 2015