Verbissen oder entspannt?
Da muss etwas Schlimmes passiert sein. Ein Drama. Finster dreinblickend kam der Gast von seinem ersten Skitag in diesem Jahr zurück. Mürrisch, fast wortlos lief der sportliche Familienvater und Stammgast an mir vorbei. Auf meine Frage, ob alles ok sei, meinte er wenig überzeugend: „Doch, doch!“ Aber irgendetwas muss vorgefallen sein. Das war offensichtlich. Am grossartigen Wetter und den bestens präparierten Pisten kann es sicherlich nicht gelegen haben. Der Mann war seit Jahren ein absoluter Fan der Freien Ferienrepublik mit ihren überwältigenden Viertausendern und dem Top-Skigebiet. Zwei Minuten später klärte sich die Sache auf. Die zwei Teenager des Gastes kamen nämlich ebenfalls zurück. Total aufgestellt schwärmten sie vom coolen Skitag. Und lachten darüber, wie sie ihrem Ernährer ständig um die Ohren gefahren seien. Dies hätte ihm allerdings zugesetzt. Der sportliche Vater sei – zumindest beim Skifahren – nun definitiv nicht mehr der Beste. Und dann meinte der jüngere der beiden noch: „Wir lassen ihn heute Abend beim Jassen gewinnen, dann klinkt er sich schon wieder ein.“ Ich musste schmunzeln.
Klar, es kann schon schmerzhaft sein, nicht mehr der Beste, Schnellste, Erfolgreichste und Schönste zu sein. Allerdings wäre zumindest im Urlaub mehr Entspannung und weniger Verbissenheit sicherlich erholsamer. Dass insbesondere Männer ihren Selbstwert an Leistungen knüpfen, ist bekannt. Nicht bloss beim Skifahren. Auch im Beruf. Ich denke da an jenen Hotelier, für den die positiven Gästebewertungen fast existentiellen Wert bekommen haben. Bloss, Verbissenheit macht ungeniessbar. Auch einsam. Wir lieben schliesslich Menschen, nicht deren Leistungen. Ich wünsche uns allen mehr Gelassenheit. Auch die Fähigkeit, sich und seine Leistungen nicht zu wichtig zu nehmen. Und die Lockerheit, das Schöne zu sehen und zu geniessen. Ganz im Sinn von Marie von Ebner Eschenbach: „Gelassenheit ist die angenehmste Form des Selbstbewusstseins.“
Christoph Gysel